Handelsriese Alibaba hat vor kurzem ein Bruttohandelsvolumen von 1 Billion Dollar bis 2020 als Ziel ausgegeben. Verantwortlich für den Erfolg soll ein Geschäftsmodell des „Neuen Handels“ sein, welches die Verschmelzung von physischem und digitalem Handel sowie die Digitalisierung des Retail-Geschäfts beinhaltet.
In einer Welt, in der wir vom Tod der Einkaufsstraßen und von der Niederlage der Einzelhändler gegen expandierende E-Commerce-Riesen hören, wirken Alibabas Pläne auf die Fokussierung beider Kanäle, anstatt sie gegeneinander auszutauschen, sehr erfrischend.
In Wirklichkeit nimmt E-Commerce noch immer einen relativ geringen Anteil am gesamten Einzelhandelsumsatz ein. Sein Anteil variiert je nach Kategorie stark. Bei Bekleidung und Schuhen, wo E-Commerce relativ stark beteiligt ist, liegt sein Anteil laut des letzten „Office for National Statistics Reports“ bei weniger als 15% des Gesamtumsatzes. Bei Lebensmitteln liegt er sogar nur bei 5%.
Die Wahrheit ist, dass Konsumenten einfach immer noch gerne im Geschäft einkaufen – und das trifft nicht nur auf die ältere Generation zu, die in einer Welt ohne Online-Shopping aufgewachsen ist. Laut einer Studie von IBM und der „National Retail Federation“ kaufen 98% der Generation-Z-Konsumenten vor Ort im Geschäft ein, wobei über zwei Drittel (67%) Offline-Shopping als ihre bevorzugte Einkaufsmethode angeben. Sogar Amazon, wo momentan 37% der Online-Käufe stattfinden, hat die Bedeutung von Ladengeschäften verstanden. Aus diesem Grund bereitet das Unternehmen nach der Multimilliarden-Dollar Übernahme von Whole Foods die Ausweitung seiner Amazon Go Stores vor.
Der Übergang von physischem zu digitalem Shopping ist kein linearer Trend, der nur in eine Richtung verläuft. Er ist eine dynamische Entwicklung, welche die Digitalisierung des gesamten Einkaufserlebnisses umfasst. Anstatt den physischen Einkaufspfad zu verlassen und das gesamte Budget für den digitalen Weg zu verwenden, müssten Brand Marketer eher einen Omnichannel-Ansatz verfolgen, der beide Wege verbindet. So könnte das Beste der digitalen Innovation auf beide Welten, der Offline- und Online-Welt, angewendet werden.
Wie können nun also Brand Marketer Alibabas Vorreiterrolle folgen und das Zeitalter des neuen Handels annehmen?
Optimierung auf die richtigen Ziele und Zahlen
Marketingfachleute konzentrieren sich regelmäßig auf die Optimierung der digitalen Ergebnisse wie z.B. Klicks und Conversions, um den Besucher auf die Unternehmens-Webseite zu führen, wo letztendlich der Verkaufsvorgang stattfinden kann. In der Realität kaufen Konsumenten Produkte aber nicht unbedingt auf der Unternehmens-Webseite. Man würde wohl nicht auf die Webseite von Unilever oder Persil gehen, um Waschmittel zu kaufen, oder auf die Webseiten von Mondelez oder Cadbury, um Schokoladeneier zu kaufen.
Diese Marken sind nämlich nicht an Klicks und Online-Conversions interessiert. Sie wollen wissen, ob ihr digitaler Abdruck genügend Wirkung zeigt und ihr Produkt den Kunden zuerst in den Sinn kommt, wenn sie durch ihren örtlichen Tesco oder Asda Markt gehen. Während dieser Standpunkt am offensichtlichsten auf FMCG-Produkte in Supermärkten zutrifft, ist er jedoch genauso relevant bei Fashion oder Beauty-Produkten, die in Kaufhäusern oder bei Drittanbietern erhältlich sind.
Anstatt gebannt die Klicks und Online-Conversions zu verfolgen, sollten sich Brand Marketer eher auf jene Publikumsdaten konzentrieren, die das individuelle Käuferverhalten widerspiegeln und so die Wirksamkeit ihrer Werbung in der realen Welt ermitteln. Steigert ihre digitale Marketingstrategie neben dem Website-Traffic auch die realen Kundenzahlen vor Ort und werden über diese Besuche am Ende tatsächlich Verkäufe generiert?
Die wahrscheinlichen Ladenkäufer als Zielgruppe
In der digitalen Welt liegt der Fokus auf Sichtbarkeit. Verständlicherweise wollen die Hersteller kein Budget für Eindrücke ausgeben, die keine Chance haben, von den Konsumenten überhaupt wahrgenommen zu werden. Überträgt man dieses Konzept auf die Offline-Welt, dann müssen Marken in Eindrücke investieren, die klar auf Kunden abzielen, die auch tatsächlich die Geschäfte mit den jeweiligen Produkten betreten.
Marketingexperten wenden verschiedene Methoden an, um Kunden in Ladengeschäfte zu locken. Die offensichtlichste, Geofencing, nutzt Standortdaten von Smartphone-Nutzern, die an einem bestimmten Geschäft vorbeikommen und versucht sie mit persönlichen Mitteilungen in den Laden zu locken. Geofencing hat jedoch zahlreiche Einschränkungen. Zunächst ist die Zielgruppe recht begrenzt, da es nur bei Kunden zum Einsatz kommt, die sich ganz in der Nähe des jeweiligen Geschäfts aufhalten. Die Tatsache, dass jemand in der Nähe eines Geschäfts spazieren geht, fährt oder sich sonst irgendwie aufhält, muss jedoch nicht unbedingt heißen, dass er dort auch einkaufen will.
Anstatt sich nur auf die Information zu verlassen, dass ein potenzieller Kunde in der Nähe ist, sollten Unternehmen Standortdaten mit anderen Informationen in Bezug setzen, um zu verstehen, wer der Kunde ist – nicht nur, wo er ist. Durch die Bestimmung der Wohngegend lässt sich z.B. häufig eine Aussage zum Haushalt, der Einkommensverhältnisse sowie über die Einkaufsmöglichkeiten in der jeweiligen Gegend eines Kunden machen. Diese Einsichten lassen sich zusätzlich mit weiteren Details ergänzen. Zum Beispiel lassen sich mit demographischen Daten, Surfverhalten und Online-Indikatoren zur Kaufabsicht so 360-Grad-Profile erstellen, die Online- und Offline-Aktivitäten verbinden, ohne den jeweiligen Kunden selbst identifizierbar zu machen.
Anhand solcher detaillierten Profile können Marken ganz gezielt die Kunden anvisieren, die zum Einkauf in einem bestimmten Geschäft tendieren und ignorieren gleichzeitig nicht interessierte Kunden, die sich einfach zufällig in der Gegend befinden. Somit müssen sie nicht darauf warten, bis der Konsument am Laden vorbeiläuft und können bereits im Vorfeld die richtigen Produkte bewerben, Aufmerksamkeit, Interesse sowie die Kaufabsicht für bestimmte Produkte anregen, noch bevor die Kunden das Geschäft betreten.
Es ist nur logisch, dass Gesprächsthemen wie das Wachstum von E-Commerce und der Niedergang der traditionellen Ladengeschäfte Brand Marketer dazu verleiten, sich verstärkt auf den digitalen Markt zu konzentrieren. Davor sollten sie jedoch einen Schritt zurückgehen und sich bewusst machen, wie der moderne Konsument heute einkauft. Marketingfachleute können ein tieferes Verständnis für Kunden erlangen und gleichzeitig Botschaften übermitteln, die Online- und Offline-Aktionen gleichermaßen auslösen: Durch einen Omnichannel-Ansatz, der sowohl die Entwicklungen in digitaler Werbung als auch Zielgruppendaten umfasst – aber gleichzeitig nicht vergisst, dass die meisten Conversions immer noch offline stattfinden.