Die Preise im Handel sind schon lange nicht mehr in Stein gemeißelt. Wer online verkauft, hat sicher schon über dynamische Preisgestaltung nachgedacht oder nutzt diese Strategie bereits. Doch auch der stationäre Handel sollte die Möglichkeit in Betracht ziehen – denn auch hier gibt es viele, die im direkten Wettbewerb mit Onlinehändlern wie Amazon stehen. Mit der flächendeckenden Einführung von ESL (Electronic Shelf Labels) wird die Bedeutung von „Dynamic Pricing“ am PoS mit Sicherheit zunehmen, da der manuelle Aufwand für häufige Preisänderungen minimiert wird.
Vor der Antwort auf die Frage, ob sich Einzelhändler auf dynamische Preisgestaltung einlassen sollten, steht die Definition. Dynamische Preisgestaltung bedeutet eine mehrmalige Preisänderung während eines Tages oder einer Woche. Man erwartet dabei, dass die Häufigkeit von Preisänderungen in Relation zum Normalpreis ungewöhnlich hoch ist. Die Erwartung mehrmals täglich wechselnder Aktienkurse ist eine Sache. Es ist etwas anderes, sie im Verhältnis z.B. zum Kaffeemaschinen-Preis im Regal zu sehen. Eine dynamische Preisänderung ist typischerweise für alle Einkäufer sichtbar. Hier sind zwei Beispiele für dynamische Preisgestaltung:
- Am Black Friday ändert Amazon die Preise seiner begehrtesten Produkte mehrmals täglich. Und das Muster dieser Preisänderungen stimmt manchmal mit den Lockangeboten typischer Einzelhandelsgeschäfte überein, wo es z.B. zwischen 8 und 10 Uhr morgens 25% Rabatt gibt, bevor dieser auf nur noch 10% nach 10 Uhr ansteigt.
- Ein etwas ausgefeilteres Beispiel: Kunden kaufen mehr Regenschirme, wenn es draußen schüttet. Ein Händler könnte nun bei entsprechendem Wetter leicht mit dynamischer Preisgestaltung oder speziellen Angeboten auf diesen Trend reagieren – z.B. mit digitaler Außenwerbung.
Dynamische Preisgestaltung kann die allgemeine Strategie vor zahlreiche Herausforderungen stellen. Was bedeutet es, wenn sich der Preis vom Moment des Hinzufügens in den Online-Einkaufswagen bis zur Zahlungsabwicklung ändert? Wie reagieren Sie als Einzelhändler mit Ladengeschäft auf fluktuierende Online-Preise im Gegensatz zu statischen Preisen im Warenregal? Was passiert, wenn Sie Preise anpassen, aber dann bemerken, dass der Konkurrenzpreis gestiegen ist, bevor der Käufer zur Kasse geht? Oder wenn Ihr eigener Onlineshop niedrigere Preise als das Ladengeschäft bietet?
Personalisierte Preisgestaltung stellt vor ganz eigene Herausforderungen. Kunden mögen es nicht, wenn anderen bessere Angebote gemacht werden als ihnen selbst. Und Händler müssen gut aufpassen, dass aus differenzierter Preispolitik keine diskriminierende Preispolitik wird. Es muss immer eine nachvollziehbare Grundlage dafür geben, unterschiedlichen Kunden unterschiedliche Preise anzubieten.
Zurück zur Ausgangsfrage. Sollten Einzelhändler dynamische Preisgestaltung in Betracht ziehen? Momentan haben im Handel die dynamische und personalisierte Preisgestaltung (noch) einen schlechten Ruf. Warum? Weil es in anderen Bereichen z.B. Flugtickets durchaus Praktiken gibt, die für den Kunden nicht nachvollziehbar sind, z.B. Preise unterschiedlich je nach verwendetem Endgerät oder je nach dem von welcher Internet-Seite der Kunde auf das Angebot surft. Andererseits sind Modelle wie Payback sehr beliebt bei den Kunden. Das ist nachvollziehbar. Mehr kaufen – mehr Punkte. Das ist nichts anderes als ein personalisierter Rabatt. Einzelhändler, die dynamische und personalisierte Preise einsetzen, sollten offen und klar kommunizieren, was da gemacht wird und warum es notwendig (wettbewerbsentscheidend) ist. Immer mit dem Hinweis, dass dynamische Preise gerecht sind: Es bedeutet in keinem Fall eine Diskriminierung von Kunden, sondern eine Belohnung für Kundentreue. Und: Wenn sich die Preise häufiger ändern, werden diese auch oftmals zum Vorteil des Kunden günstiger.
Händler, die den Konkurrenzdruck von Amazon spüren, nutzen häufig dynamische Preisgestaltung, wenn es darauf ankommt, wie z.B. am Black Friday. Trotz dieser Vorgehensweise scheint dynamische Preisgestaltung insgesamt abzunehmen. In einer RSR ‚(Retail Technology Research) Umfrage von 2016 sahen noch 28% der Teilnehmer dynamische Preise als Gelegenheit, die Gewinnmarge zu steigern, aber im Jahr 2017 nur noch 22%.
Warum ist das so? Eine Erklärung könnte sein, dass sich Verbraucher wohl nicht sehr viel daraus machen. Wir haben neben unserer Recherche zur Preisgestaltung eine kleine Umfrage durchgeführt und herausgefunden, dass circa 70% der befragten Menschen die Praxis gar nicht schätzten und weitere 23% sie nur „okay“ fanden.
Dabei gibt es allerdings interessante Abweichungen je nach Zielgruppe. Denn Millennials akzeptieren dynamische Preisgestaltung viel eher und 14% sagen sogar, sie „lieben es“. Die Art und Weise, wie Millennials mit dem Thema umgehen, zeigt, dass diese sich einfach ihrer Fähigkeit bewusst sind, die dynamische Preispolitik des Einzelhandels zu Ihrem Vorteil zu „manipulieren“. Sie sind technisch versierter und gewillter, auch während des Besuchs im stationären Handel das Internet nach dem besten Preis zu durchsuchen. Sie gehen daher besser informiert an die jeweiligen Preise und wissen, ob es sich lohnt, auf eine Preissenkung zu reagieren oder nicht – auch mit dem Verständnis, ob ihr eigenes Verhalten oder die Aktionen anderer Händler weitere Preissenkungen bei wieder anderen Händlern auslösen könnten.
Es gibt Fälle, wo dynamische Preisgestaltung Sinn macht – während extrem umkämpfter Shopping-Zeiträume wie am Black Friday oder bei Angeboten, die preisvergleichende Schnäppchenjäger in den stationären Handel einladen sollen. Als allgemeine Strategie für den Einzelhandel scheint sie von den Kunden jedoch nicht besonders geschätzt zu werden – und der Handel hat die Botschaft verstanden. Der Einzelhandel sollte sich mit dem Reiz dynamischer Preisgestaltung (oder dessen Fehlen) für ihre Kundenbasis befassen, bevor er sich für den Einsatz entscheidet. Wer Chancen darin sieht – von Wettbewerbsfähigkeit über Umsatz-, Ertragsanteil- und Marktgewinn bis hin zu mehr Kundenloyalität – sollte aber auf jeden Fall von Preisstrategien absehen, die Kunden diskriminieren oder für den Kunden nicht nachvollziehbar sind.