Omnichannel ist ein Modewort, das bereits seit über 5 Jahren in aller Munde ist, das aber speziell im Bereich des Einzelhandels immer noch häufig mit Multichannel verwechselt wird. Die meisten Einzelhändler agieren bereits multichannel, indem sie ihre Produkte über mehr als einen Kanal zum Verkauf anbieten. Sehr wenige sind jedoch wirklich Omnichannel.
Multichannel vs. Omnichannel
Obwohl beide Begriffe, Multi- und Omnichannel, den Verkauf über mehrere physische und digitale Kanäle beinhalten, besteht der Hauptunterschied darin, wie das Kundenerlebnis zwischen diesen Kanälen verknüpft wird. Ein gewöhnlicher Multichannel Einzelhändler betreibt in der Regel eine Webseite sowie Ladengeschäfte. Diese zwei Kanäle sind im Allgemeinen ziemlich isoliert mit einer sehr geringen Interaktion untereinander.
Die Läden besitzen ihren eigenen Warenbestand und es wird direkt an die Kunden verkauft, wohingegen die Webseite ebenfalls ihr eigenes Sortiment anbietet. Artikel, die im Geschäft gekauft wurden, können auch nur im Geschäft zurückgegeben werden und Online-Bestellungen können bisweilen nicht direkt im Geschäft zurückgegeben werden. Als Kunde ist die Online-Interaktion mit dem Händler komplett von der Offline-Interaktion getrennt. Im Kern werden also die Online- und Offline-Kanäle als voneinander getrennte Unternehmen betrachtet.
Der Kunde von heute betrachtet aber eine Marke nicht als in sich isolierte Bereiche. Er hat vielmehr zahlreiche Berührungspunkte mit dem Händler und erwartet deshalb auch, dass sein Weg bis zum Kauf eines Produkts über jeden Kontaktpunkt oder Kanal nahtlos verläuft. Ich sehe das Einzelhandelsgeschäft und die Webseite eines Händlers zwar nicht als unterschiedliche Unternehmen oder abgeschlossene Bereiche, aber mein Einkaufserlebnis über einen Kanal ist häufig komplett von einem anderen Kanal getrennt. Ich will in der Lage sein, mit der Marke online zu interagieren, über Social Media, mein Smartphone oder im Laden. Und ich will, dass all diese Interaktionen zusammengeführt werden.
Der Kunde von heute bestimmt selbst den Einkaufsprozess über die verschiedenen Kanäle und Kontaktpunkte und jeder einzelne davon ist von Bedeutung. Wird der Kunde auf einen bestimmten Kanal beschränkt oder dazu gezwungen, bei jedem Wechsel des Verkaufskanals von vorne zu beginnen, dann führt das zu Spannungen und beeinflusst das Einkaufserlebnis negativ.
Der Hauptunterschied zwischen Multichannel und Omnichannel besteht darin, dass Omnichannel diese Berührungspunkte auf eine Weise zusammenführt, damit das Erlebnis für den Kunden konsistent und einheitlich ist – egal, welchen Weg er auch geht.
Wenn es so offensichtlich ist, warum macht es dann nicht jeder?
Obwohl viele Händler Omnichannel-Elemente in ihren Unternehmen anbieten, z.B. „Click and Collect“ oder Vorbestellungen im Geschäft, so haben es doch sehr wenige umfassend oder vollständig im Unternehmen umgesetzt.
Händler wie Office Shoes und Oasis bieten eine „grenzenlose Ganglösung“, die es den Nutzern erlaubt, In-Store-Käufe für Produkte zu tätigen, die im Web aber nicht im Laden selbst erhältlich sind. Gleichzeitig wird Sortiment, das im Geschäft verfügbar ist, auch online angeboten. Andere Marken wie Argos sind seit langem führend bei Initiativen wie „Click and Collect“. Dennoch findet man nur schwer Beispiele für Händler, die ihr gesamtes Unternehmen auf Omnichannel ausgelegt haben.
Aufwand und Rendite
Eine der größten Hürden für die Umsetzung von Omnichannel sind die Kosten und die Komplexität. Ein Einzelhändler mit physischem Auftritt besitzt mit größter Wahrscheinlichkeit ein vorhandenes In-Store POS-System, das rundum auf ihn zugeschnitten ist. Seine Bestellmanagement- und ERP-Systeme sind sicherlich den Kundenwünschen angepasst und tiefgreifend in die internen Business-Systeme integriert.
Die Anwendung von Omnichannel quer durch ein Unternehmen erfordert sicherlich wesentliche Investitionen in Technologie und Geschäftsveränderungen. Diese Technologie muss quer durch das gesamte Unternehmen integriert werden und wird sogar vorhandene Systeme ersetzen. Das erfordert eine große Vision und jede Menge Engagement von einem Unternehmen und muss von ganz oben vorangetrieben werden, um erfolgreich zu sein.
Verfügbarkeit geeigneter Technologie
Während es zahlreiche Firmen gibt, die Omnichannel-Lösungen anbieten, so sind dennoch nur sehr wenige Techniklösungen verfügbar, die gleichzeitig mehrere wichtige Bereiche eines Omnichannel-Unternehmens abdecken. Es sind viele hochentwickelte POS Lösungen möglich, aber wie viele davon bieten auch Unternehmens-, Web- oder Mobil-Tauglichkeit? Es gibt zahlreiche E-Commerce Plattformen für Unternehmen, aber wie viele könnten einen POS im Geschäft ersetzen?
Es tauchen mehr und mehr Plattformen auf mit Lösungen wie dem SAP Hybris Assisted Service Mode, der, wenn individualisiert, für bestimmte Händler als POS fungieren kann. Nachfrage und Innovation treiben die Technologie voran aber es liegt noch ein langer Weg vor uns.
Kultur
Eine weitere große Hürde für die Einführung des Omnichannel-Handels ist die Kultur eines Unternehmens. Damit ein Unternehmen bei digitalen Veränderungen jeglicher Art erfolgreich bleibt, muss dieser Prozess auf allen Ebenen erfolgen. Praktisch jeder einzelne Mitarbeiter muss diese Entwicklung mitgehen und in seiner Rolle verinnerlichen.
Eine der größten kulturellen Herausforderungen, der sich ein traditionelles Ladengeschäft bei der Einführung von Omnichannel stellen muss, ist der Widerstand der Mitarbeiter. In einer Multichannel-Welt sehen Ladenmitarbeiter das Digitalgeschäft sehr häufig als Konkurrenz. Sie erhalten Provisionen für den Verkauf im Laden, was natürlich wenig Anreiz bietet, die Kunden zum Onlinekauf zu ermutigen.
Wenn man auf Provision für Aufträge im Geschäft bezahlt wird, dann schenkt man häufig demjenigen weniger Beachtung, von dem man denkt, dass er online kauft als jemandem, der voraussichtlich direkt im Geschäft einkaufen wird. Womöglich ermutigt das Verkaufspersonal sogar die Kunden dazu etwas zu kaufen, das sofort verfügbar ist, anstatt dem, was der Kunde ursprünglich wollte. Dies führt letzten Endes zu einer Beeinträchtigung des Kundenerlebnisses.
Der Schlüssel, um diese kulturelle Herausforderung erfolgreich zu meistern besteht darin, per Technologie die Interaktionen mit den Kunden im Geschäft nachzuverfolgen, die anschließend weiter online einkaufen. Für hochpreisige Produkte, wie z.B. Möbel, wird ein Kunde womöglich mehrere Online- und Vor-Ort Kontakte mit diversen Angestellten des Unternehmens haben. Diese Kundenkontakte könnten direkt im Laden stattfinden, online, am Telefon oder per Live-Chat und wahrscheinlich als Kombination einiger davon.
Wenn all diese Daten verfolgt und zusammengeführt werden können, ist es möglich, ein Anreizschema zu schaffen, das die Mitarbeiter für alle Verkäufe belohnt – egal über welchen Kanal sie stattfanden. Es macht keinen Sinn, die Grenzen zwischen den Kanälen für die Kunden abzuschaffen, wenn das Personal die isolierte Sichtweise beibehält.
Die Zukunft
Obwohl bisher nur sehr wenige Händler Omnichannel in vollem Umfang nutzen, sollten die Erwartungen und das Verhalten der Kunden die Marken dazu bringen, in die nötigen Technologien und kulturellen Veränderungen zu investieren, damit dies gelingt. Multichannel wird den Kunden Barrieren entgegenstellen, die ihr Einkaufserlebnis völlig eigenständig gestalten möchten – und dies wird sie letzten Endes zur Konkurrenz führen.
Ich erwarte einfach mehr innovative und preisgünstige technische Lösungen, die es Marken erlauben, die Kluft zwischen den Kanälen zu überbrücken und den Kunden erlauben, ihr individuelles Einkaufserlebnis bei dem jeweiligen Händler zu gestalten. Anbieter für E-Commerce Plattformen werden weiterhin eher daran arbeiten, die In-Store Möglichkeiten zu modernisieren als die bloße Online-Leistungsfähigkeit.
Auch vor den Zahlungsanbietern liegt noch einiges an Arbeit. Einige Anbieter wie Adyen und Worldpay bieten inzwischen auch Omnichannel-Zahlungsmöglichkeiten, aber ich erwarte in diesem Bereich noch weitere Fortschritte. Im Speziellen sollte es darum gehen, den Kunden übergangslos die Möglichkeit zu geben, Webeinkäufe im Laden zu erledigen, indem sie Chip und Pin genauso neben anderen Zahlungsarten nutzen, wie z.B. Android und ApplePay.